PharmakokinetikBeim stoffwechselgesunden Erwachsenen erfolgt die Deckung des normalen Carnitinbedarfs durch Eigensynthese (40% bis zu 75%), der Rest wird aus tierischen Nahrungsmitteln gedeckt.
Freies Carnitin steht im Körper mit den verschiedenen Acylcarnitinen (Carnitinpool) im Gleichgewicht. Therapeutisch bzw. prophylaktisch verabreichtes freies Carnitin geht in den Carnitinpool über und normalisiert ein pathologisches Verhältnis der Pool-Komponenten. Die Pharmakokinetik therapeutisch zugeführten Carnitins ist daher ausserordentlich komplex.
Absorption
Die Primärresorption des L-Carnitins wird im Dünndarm durch einen aktiven, sättigbaren und einen passiven, konzentrationsabhängigen Mechanismus bestimmt. Bei therapeutischer Dosierung beträgt die primäre orale Bioverfügbarkeit 10-18%.
Distribution
Die Normwerte für freies Carnitin betragen:
Serum/Plasma: 32-48 µmol/l (freies + acyliertes Carnitin: 39-68 µmol/l);
Muskulatur: 24 µmol/g collagenfreies Protein;
Myokard: 6,5-10 µmol/g collagenfreies Protein;
Urin: 80-200 µmol/24 Std.;
Erythrozyten: 0,1 µmol/g.
Die Plasmakonzentrationen schwanken auch im Zusammenhang mit der körperlichen Aktivität.
Die Verteilung des primär resorbierten freien Carnitins im Körper geschieht über unterschiedliche Kompartimente:
Aktive (physiologische) Anreicherung (bis 1:100 gegen Plasma) im Muskel und Myokard;
Speicherung/Ausscheidung über den Carnitinpool (freies und Acylcarnitin);
konzentrations- und substanzspezifische Regelung der Plasmakonzentration über Ausscheidung/Rückresorption in der Niere.
Die durch exogenes Carnitin maximal erreichbaren Plasmaspiegel bei Nierengesunden (Plateauwerte) betragen 140-170 µmol/l.
Freies und acyliertes Carnitin kann in allen Geweben und Körperflüssigkeiten nachgewiesen werden. Das Verhältnis von freiem zu Acylcarnitinen im Serum und Urin hat diagnostische Bedeutung. Nach einmaliger sehr hoher Carnitin-Verabreichung (90 mg/kg p.o.) werden Cmax-Werte von 90 µmol/l (tmax 2-4 Std.) erreicht, jedoch auch bei mehrtägiger Verabreichung dieser Dosis nicht überschritten (steady state).
Die Proteinbindung des freien L-Carnitins ist gering. Wegen des natürlichen (sehr hohen) Carnitinpools in den Muskeln und der komplizierten Kompartimentalisierung und des Gleichgewichts zwischen freiem und acyliertem Carnitin kann kein Verteilungsvolumen für extern zugeführtes Carnitin angegeben werden.
Metabolismus
Biosynthese, Metabolismus und Biotransformationen
Die Biosynthese findet vorzugsweise in der Leber statt, als Primärbausteine dienen Lysin und Methionin. Die Muskeln und das Myokard sind nicht fähig, Carnitin zu synthetisieren.
Carnitin wird vom Körper nur in geringem Masse metabolisiert. Als Metaboliten wurden Crotonylbetain und Butyrobetain nachgewiesen, die jedoch grossenteils als Abbauprodukte durch die Darmflora anzusehen sind.
Auf oralem Wege appliziertes L-Carnitin wird zum grössten Teil (80-90%, je nach Dosis) durch die Darmflora unter Bildung von Trimethylamin (TMA) und γ-Butyrobetain abgebaut und ausgeschieden. Der Rest (10-20%) gelangt unverändert in den Carnitin-Körperpool. TMA wird resorbiert und in der Leber durch Trimethylaminoxidase zu Trimethylaminoxid (TMAO) oxidiert. Der TMA-Metabolismus ist sättigbar. TMA und TMAO werden renal ausgeschieden.
L-Carnitin, Crotonylbetain und Butyrobetain unterliegen einem enterohepatischen Kreislauf. Nach Rückresorption aus dem Dickdarm werden die Abbauprodukte in der Leber (und in den Nieren) in L-Carnitin zurückverwandelt (sekundäre Bioverfügbarkeit).
Elimination
Die Elimination des freien und acylierten Carnitins erfolgt im Wesentlichen über die Nieren. Langkettige Acylcarnitine werden in der Niere bedeutend rascher eliminiert als freies Carnitin. Die Rückresorption in der Niere erfolgt für freies Carnitin an 2 Stellen, wovon eine spezifisch ist.
Die Clearance von freiem Carnitin ist dosisabhängig. Bei relativ geringer Versorgung mit Carnitin (z.B. bei chronischen Vegetariern) sinkt sie infolge verstärkter Rückresorption stark ab. Umgekehrt erhöht sie sich beim gesunden Erwachsenen abhängig von der therapeutischen Dosis.
Die biologische Halbwertszeit (t1/2) ist im Muskel ca. 100-200× länger als in der Leber.
Kinetik spezieller Patientengruppen
Lebererkrankungen
Wegen der grossen Bedeutung der Leber für die körpereigene Carnitinsynthese besteht bei diesen Patienten latenter Carnitinmangel.
Niereninsuffizienz
Bei noch funktionsfähigen Nieren ist kaum mit einer Akkumulation von Carnitin über das physiologische Ausmass hinaus zu rechnen. Bei urämischen Patienten korreliert das Serumcarnitin mit dem Serumcreatinin. Da Serumcarnitin leicht und in hohem Masse (bis zu 80% pro Behandlung) durch Dialyse ausgeschwemmt wird, tritt dabei in der Regel ein Carnitinverlust ein, der kompensiert werden muss (siehe «Dosierung/Anwendung»).
Bei Patienten mit Niereninsuffizienz im Endstadium oder mit schwer beeinträchtigter Nierenfunktion kann die lang andauernde orale Verabreichung von L-Carnitin zu erhöhten Konzentrationen von TMA und TMAO im Blut und im Harn führen (s. unter «Warnhinweise und Vorsichtsmassnahmen»).
Bei genetischem Defekt der Rückresorption (Fanconi-Syndrom) müssen chronisch Höchstdosen an Carnitin zur Kompensation der Verluste gegeben werden.
Erhöhter Carnitinverbrauch
Bei genetischen Stoffwechselanomalien fallen im Körper grosse Mengen verzweigter Mono- und Dicarbonsäuren an, die fakultativ oder obligatorisch als Carnitinkonjugate entgiftet werden. Der dadurch bedingte zusätzliche, zum Teil sehr hohe Carnitinverbrauch muss kompensiert werden.
|