Eigenschaften/WirkungenATC-Code: N07BB05
Wirkungsmechanismus:
Nalmefen ist ein Modulator des Opioid-Systems mit einem speziellen µ-, δ-, und κ-Rezeptor Profil.
In-vitro Studien haben gezeigt, dass Nalmefen ein selektiver Opioid-Rezeptor-Ligand ist, mit Antagonisten-Aktivität an den µ- und δ-Rezeptoren sowie partieller Agonisten-Aktivität am κ-Rezeptor.
In-vivo Studien haben gezeigt, dass Nalmefen den Alkoholkonsum möglicherweise durch Modulation der kortiko-mesolimbischen Funktionen reduziert.
Eine Positron-Emissions-Tomographie (PET) Studie an gesunden Probanden untersuchte die Besetzung der Opioid-Rezeptoren im Gehirn durch Nalmefen. In dieser Studie wurde 3 Stunden nach der Einnahme von 18 mg Nalmefen als Einzeldosis oder als wiederholte tägliche Dosierung eine sehr hohe Besetzung der µ-Opioid-Rezeptoren (94-100%) beobachtet. Diese hohe Besetzung (83-100%) dauerte bis 26 Stunden nach der Dosierung an.
Die Daten aus den präklinischen und klinischen Studien und die Literatur weisen weder auf irgendeine Form von Abhängigkeit noch auf ein Missbrauchspotential von Nalmefen hin.
Pharmakodynamik
Siehe Wirkungsmechanismus.
Klinische Wirksamkeit
Die Wirksamkeit von Nalmefen auf die Reduktion des Alkoholkonsums bei Patienten mit Alkoholabhängigkeit (nach DSM-IV) wurde in 2 Wirksamkeits-Studien untersucht. Patienten mit einer Vorgeschichte von Delirium tremens, Halluzinationen, Krampfanfällen, bedeutenden psychiatrischen Begleiterkrankungen oder signifikanten Einschränkungen der Leberfunktion, sowie Patienten mit erheblichen körperlichen Entzugssymptomen beim Screening oder bei der Randomisierung, wurden ausgeschlossen. Die Mehrheit (80%) der eingeschlossenen Patienten hatte beim Screening einen Alkoholkonsum auf hohem oder sehr hohem Risikoniveau (Alkoholkonsum >60 g/Tag für Männer und >40 g/Tag für Frauen gemäss WHO Drinking Risk Levels (DRLs) für Alkoholkonsum). 65% dieser Patienten behielten zwischen Screening und Randomisierung einen Alkoholkonsum auf hohem oder sehr hohem Risikoniveau bei.
Beide Studien waren randomisierte, doppel-blinde und placebo-kontrollierte Parallelgruppen-Studien. Nach 6 Monaten Behandlung wurden die Patienten, die Nalmefen erhalten hatten, erneut randomisiert und erhielten entweder Placebo oder Nalmefen in einer 1-monatigen Auslaufphase.
Langzeitdaten
Die Wirksamkeit von Nalmefen wurde auch in einer Sicherheits-Studie über 1 Jahr untersucht. Diese Parallelgruppen-Studie war ebenfalls randomisiert, doppel-blind und placebo-kontrolliert.
In diesen Studien wurden 1'941 Patienten behandelt, wovon 1'144 Patienten mit 18 mg Nalmefen nach Bedarf behandelt wurden.
Beim ersten Besuch wurden der klinische Status, die soziale Situation und das Alkohol Konsumverhalten der Patienten erhoben (gemäss Angaben des Patienten). Bei der Randomisierung, die 1 bis 2 Wochen später erfolgte, wurde das Risikoniveau des Alkoholkonsums erneut erhoben und die Behandlung mit Selincro eingeleitet in Verbindung mit einer psychosozialen Intervention (BRENDA), die auf Therapieadhärenz und Reduktion des Alkoholkonsums zielte. Selincro wurde nach Bedarf eingenommen; was zu einer Einnahme an ungefähr der Hälfte der Tage führte.
Die Wirksamkeit von Nalmefen wurde mit zwei primären Endpunkten gemessen: die Veränderung der Anzahl Tage pro Monat mit übermässigem Alkoholkonsum (Heavy Drinking Days, HDDs) ab Studienbeginn bis Monat 6 sowie die Veränderung des totalen täglichen Alkoholkonsums (Total Alcohol Consumption, TAC) ab Studienbeginn bis Monat 6. Ein Heavy Drinking Day wurde definiert als ein Tag mit einem Alkoholkonsum von ≥60 g Alkohol für Männer und ≥40 g Alkohol für Frauen.
Bei einigen Patienten trat zwischen dem ersten Besuch (Screening) und der Randomisierung eine signifikante Reduktion der Anzahl HDDs und der TAC aufgrund nicht-pharmakologischer Effekte auf. Diese Patienten konsumierten bei der Randomisierung eine so geringe Menge Alkohol, dass wenig Raum für eine weitere Verbesserung blieb (Floor-Effekt).
Daher wurden die Patienten, deren Alkoholkonsum sich bei der Randomisierung immer noch auf einem hohen oder sehr hohen Risikoniveau befand, post-hoc als Zielpopulation definiert (58% der Gesamtpopulation in Studie 1 (n=579) beziehungsweise 46% in Studie 2 (n=655)). In dieser Population war der Behandlungseffekt grösser als der in der Gesamtpopulation.
Zu Beginn der Studie hatten diese Patienten im Durchschnitt 23 HDDs pro Monat (11% der Patienten hatten weniger als 14 HDDs pro Monat) und konsumierten 106 g/Tag. Die Mehrheit der Patienten hatte eine leichte (55% hatten einen Score von 0-13) oder mittlere Alkoholabhängigkeit (36% hatten einen Score von 14-21) gemäss der Alcohol Dependence Scale.
Wirksamkeitsanalyse bei Patienten mit hohem oder sehr hohem Risikoniveau bei der Randomisierung
In Studie 1 war der Anteil Patienten, welche die Studie vorzeitig beendeten, in der Selincro-Gruppe höher als in der Placebo-Gruppe (50% versus 32%). Die Anzahl HDDs betrug bei Studienbeginn 23 Tage/Monat in der Selincro-Gruppe (n=171) und 23 Tage/Monat in der Placebo-Gruppe (n=167). Für Patienten, die in der Studie verblieben und für die Wirksamkeitsdaten für Monat 6 vorlagen, betrug die Anzahl HDDs 9 Tage/Monat in der Selincro-Gruppe (n=85) und 14 Tage/Monat in der Placebo-Gruppe (n=114). Die TAC betrug bei Studienbeginn 102 g/Tag in der Selincro-Gruppe (n=171) und 99 g/Tag in der Placebo-Gruppe (n=167). Für Patienten, die in der Studie verblieben und für die Wirksamkeitsdaten für Monat 6 vorlagen, betrug die TAC 40 g/Tag in der Selincro-Gruppe (n=85) und 57 g/Tag in der Placebo-Gruppe (n=114).
In Studie 2 war der Anteil Patienten, welche die Studie vorzeitig beendeten, in der Selincro-Gruppe höher als in der Placebo-Gruppe (30% versus 28%). Die Anzahl HDDs betrug bei Studienbeginn 23 Tage/Monat in der Selincro-Gruppe (n=148) und 22 Tage/Monat in der Placebo-Gruppe (n=155). Für Patienten, die in der Studie verblieben und für die Wirksamkeitsdaten für Monat 6 vorlagen, betrug die Anzahl der HDDs 10 Tage/Monat in der Selincro-Gruppe (n=103) und 12 Tage/Monat in der Placebo-Gruppe (n=111). Die TAC betrug bei Studienbeginn 113 g/Tag in der Selincro-Gruppe (n=148) und 108 g/Tag in der Placebo-Gruppe (n=155). Für Patienten, die in der Studie verblieben und für die Wirksamkeitsdaten für Monat 6 vorlagen, betrug die TAC 44 g/Tag in der Selincro-Gruppe (n=103) und 52 g/Tag in der Placebo-Gruppe (n=111).
In beiden Studien konnte der Effekt von Nalmefen in Monat 1 beobachtet werden und blieb während der gesamten Behandlungsdauer erhalten (siehe Tabelle 1 zur Wirksamkeit in Monat 6 basierend auf der Primary Mixed Model Repeated Measures Analyse (MMRM)).
Tabelle 1: Ergebnisse für die Co-Primary Endpunkte für Monat 6 bei Patienten mit einem hohen oder sehr hohen DRL beim Screening und bei der Randomisierung (MMRM)
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Endpunkt
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Durchschnittliche Veränderung vom Ausgangswert gegenüber Placebo über 6 Monate
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95% Konfidenz-Intervall
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p-Wert
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Studie 1
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HDD
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-3.7 Tage/Monat
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-5.9; -1.5
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<0.001
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TAC
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-18.3 g/Tag
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-26.9; -9.7
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<0.001
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Studie 2
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HDD
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-2.7 Tage/Monat
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-5.0; -0.3
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0.025
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TAC
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-10.3 g/Tag
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-20.2; -0.5
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0.040
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Responder Analysen der gepoolten Daten aus den beiden Studien werden in Tabelle 2 dargestellt.
Tabelle 2: Ergebnisse der Responder Analyse der gepoolten Daten der Patienten, die beim Screening und bei der Randomisierung einen hohen oder sehr hohen DRL hatten
Responsea
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Placebo
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Nalmefen
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Odds Ratio (95% Konfidenzintervall)
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p-Wert
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TAC R70b
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19.9%
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25.4%
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1.44 (0.97; 2.13)
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0.067
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0-4 HDDc
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16.8%
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22.3%
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1.54 (1.02; 2.35)
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0.040
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a
Die Analyse wertet Patienten, welche die Studie vorzeitig beendeten, als Nicht-Responder b ≥70% Reduktion der TAC in Monat 6 (28 Tage) verglichen mit dem Ausgangswert c 0 to 4 HDDs/Monat in Monat 6 (28 Tage)
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Während der 1-monatigen Run-out Periode liegen für Selincro nur begrenzt Daten vor.
1-Jahres-Sicherheitsstudie
Diese Studie umfasste insgesamt 665 Patienten. 52% dieser Patienten hatten bei Studienbeginn einen Alkoholkonsum auf hohem oder sehr hohem Risikoniveau; davon hatten 52% (d.h. 27% der Gesamtpopulation) bei Randomisierung weiterhin einen Alkoholkonsum auf hohem oder sehr hohem Risikoniveau. In dieser post-hoc Zielpopulation brachen unter Nalmefen mehr Patienten die Studie ab (45%) als unter Placebo (31%).
Die Anzahl HDDs betrug bei Studienbeginn 19 Tage/Monat in der Selincro-Gruppe (n=141) und 19 Tage/Monat in der Placebo-Gruppe (n=42). Für Patienten, die in der Studie verblieben und für die Wirksamkeitsdaten nach einem Jahr vorlagen, betrug die Anzahl HDDs 5 Tage/Monat in der Selincro-Gruppe (n=78) und 10 Tage/Monat in der Placebo-Gruppe (n=29). Die TAC betrug bei Studienbeginn 100 g/Tag in der Selincro-Gruppe (n=141) und 101 g/Tag in der Placebo-Gruppe (n=42). Für Patienten, die in der Studie verblieben und für die Wirksamkeitsdaten nach einem Jahr vorlagen, betrug die TAC 24 g/Tag in der Selincro-Gruppe (n=78) und 47 g/Tag in der Placebo-Gruppe (n=29).
Pädiatrie
Die europäische Zulassungsbehörde (EMA) verzichtete auf Studien-Daten zur Behandlung der Alkoholabhängigkeit mit Selincro in allen pädiatrischen Altersgruppen (siehe Kontraindikationen).
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