Eigenschaften/WirkungenATC-Code
L01XM02
Wirkungsmechanismus
Ivosidenib ist ein Inhibitor des mutierten IDH1-Enzyms. Das mutierte IDH1 wandelt Alpha-Ketoglutarat (α-KG) in 2-Hydroxyglutarat (2-HG) um, wodurch die Zelldifferenzierung blockiert und die Tumorgenese hämatologischer und nicht-hämatologischer Tumoren gefördert wird. Der Wirkmechanismus von Ivosidenib, der über seine Fähigkeit zur Reduktion von 2-HG und zur Wiederherstellung der zellulären Differenzierung hinausgeht, ist nicht für alle Indikationen vollständig bekannt.
Pharmakodynamik
Mehrfachdosen von 500 mg Ivosidenib täglich verringerten die Plasmakonzentrationen von 2-HG bei Patienten mit maligner Bluterkrankung oder Cholangiokarzinom mit IDH1-Mutation auf Werte, die denjenigen bei gesunden Probanden nahe kamen. Im Knochenmark von Patienten mit malignen hämatologischen Erkrankungen und in der Tumorbiopsie von Patienten mit Cholangiokarzinom betrug die durchschnittliche Reduktion (% des Variationskoeffizienten [%CV]) der 2-HG-Konzentrationen 93,1 % (11,1 %) bzw. 82,2 % (32,4 %).
Unter Verwendung eines «Ivosidenib-Konzentrations-QTc-Modells» wurde eine konzentrationsabhängige Verlängerung des QTc-Intervalls um ca. 17,2 ms (90 %-KI: 14,7-19,7) bei Cmax im Steady State vorhergesagt, basierend auf einer Analyse von 173 AML-Patienten, die 500 mg Ivosidenib einmal täglich erhalten hatten. Eine konzentrationsabhängige Verlängerung des QTc-Intervalls um ca. 17,2 ms (90 %-KI 14,3-20,2) wurde bei Cmax im Steady State nach der Verabreichung einer täglichen Dosis von 500 mg beobachtet, basierend auf einer Analyse von 101 Patienten mit Cholangiokarzinom, die 500 mg Ivosidenib täglich erhalten hatten (siehe «Dosierung/Anwendung» und «Warnhinweise und Vorsichtsmassnahmen»).
Klinische Wirksamkeit
Neu diagnostizierte akute myeloische Leukämie in Kombination mit Azacitidin
Die Wirksamkeit von Tibsovo wurde im Rahmen einer randomisierten, multizentrischen, doppelblinden, placebokontrollierten klinischen Studie (AG120-C-009) an 146 erwachsenen Patienten mit zuvor unbehandelter AML und IDH1-Mutation untersucht, welche die Voraussetzungen für eine intensive Induktionschemotherapie nicht erfüllten, beruhend auf mindestens einem der folgenden Kriterien: Alter 75 Jahre oder älter, ECOG (Eastern Cooperative Oncology Group)-Leistungsstatus 2, schwere Herz- oder Lungenerkrankungen, Leberfunktionsstörung mit Bilirubin > 1,5 fache der oberen Normgrenze, Kreatinin-Clearance < 45 ml/min oder eine andere Komorbidität. Eine Genmutationsanalyse zur zentralen Bestätigung der IDH1-Mutation aus dem Knochenmark und/oder peripherem Blut erfolgte bei allen Probanden mit dem Abbott RealTime™ IDH1-Assay. Die Patienten wurden randomisiert und erhielten entweder 500 mg Tibsovo oder ein entsprechendes Placebo einmal täglich oral mit 75 mg/m2/Tag Azacitidin subkutan oder intravenös während 1 Woche alle 4 Wochen bis zum Ende der Studie, bis zum Fortschreiten der Krankheit oder einer inakzeptablen Toxizität.
Das mediane Alter der mit Tibsovo behandelten Patienten betrug 76 Jahre (Spanne: 58-84); 58 % waren Männer, 21 % waren Asiaten, 17 % waren Weisse und bei 61 % wurde die ethnische Zugehörigkeit nicht angegeben; sie hatten einen ECOG-Leistungsstatus von 0 (19 %), 1 (44 %) oder 2 (36 %). 75 % der Patienten hatten eine de novo AML. Insgesamt hatten die Patienten ein dokumentiertes geringes (4 %), intermediäres (67 %) oder hohes/sonstiges (26 %) zytogenetisches Risiko, das von den Prüfärzten anhand der Clinical Practice Guidelines in Oncology (Richtlinien für die klinische Praxis in der Onkologie) des National Comprehensive Cancer Network (NCCN) (2017) beurteilt wurde.
Die Ergebnisse basierten auf dem primären Wirksamkeitsendpunkt des ereignisfreien Überlebens (EFS), gemessen ab dem Zeitpunkt der Randomisierung bis zum Versagen der Behandlung, Rezidiv nach einer Remission oder dem Tod jeglicher Ursache. Als Therapieversagen wurde das Nichterreichen einer kompletten Remission (CR) bis Woche 24 definiert. Das Gesamtüberleben (OS) war ein wichtiger sekundärer Wirksamkeitsendpunkt (Tabelle 4).
Tabelle 4 - Ergebnisse zur Wirksamkeit bei Patienten mit neu diagnostizierter AML in Kombination mit Azacitidin
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Endpunkt
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Ivosidenib (500 mg täglich) + Azacitidin N=72
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Placebo + Azacitidin N=74
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Ereignisfreies Überleben, Ereignisse (%) Therapieversagen Rezidiv Tod
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46 (63,9) 42 (58,3) 3 (4,2) 1 (1,4)
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62 (83,8) 59 (79,7) 2 (2,7) 1 (1,4)
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Hazard Ratio1 (95%-KI)
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0,33 (0,16-0,69)
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p-Wert2
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0,0011
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Gesamtüberleben (OS), Ereignisse (%)
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28 (38,9)
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46 (62,2)
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Medianes OS (95%-KI), Monate
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24,0 (11,3-34,1)
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7,9 (4,1-11,3)
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Hazard Ratio1 (95%-KI)
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0,44 (0,27-0,73)
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p-Wert2
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0,0005
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KI: Konfidenzintervall; OS = Gesamtüberleben; Ende der Datenerhebung: 18. März 2021. 1 Das Risikoverhältnis (hazard ratio) wird mithilfe eines Cox-Modells proportionaler Risiken geschätzt, das nach den Randomisierungsfaktoren (AML-Status und geografische Region) stratifiziert ist, wobei PBO+AZA als Nenner dient. 2 Der p-Wert wird aus dem einseitigen Log-Rang-Test berechnet, der nach den Faktoren der Randomisierung (AML-Status und geografische Region) stratifiziert wird.
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Eine aktualisierte Analyse des OS (Ende der Datenerhebung: 30. Juni 2022), die bei 64,2 % (N = 95) der Ereignisse durchgeführt wurde, bestätigte den Vorteil von Tibsovo in Kombination mit Azacitidin hinsichtlich des Gesamtüberlebens im Vergleich zu Placebo in Kombination mit Azacitidin mit einem medianen OS von 29,3 Monaten bzw. 7,9 Monaten (HR = 0,42; 95%-KI: 0,27-0,65).
Zuvor behandeltes, lokal fortgeschrittenes oder metastasiertes Cholangiokarzinom
Die Wirksamkeit von Tibsovo wurde in einer randomisierten klinischen Studie der Phase 3 untersucht (2: 1): multizentrisch, doppelblind, placebokontrolliert (AG120-C-005), an 185 erwachsenen Patienten mit lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem Cholangiokarzinom mit einer IDH1-R132-Mutation, deren Krankheit nach mindestens 1, aber nicht mehr als 2 vorangegangenen Behandlungen fortgeschritten war, darunter mindestens eine Therapie mit Gemcitabin oder 5-FU, und die eine voraussichtliche Lebenserwartung von 3 oder mehr Monaten hatten.
Die Patienten erhielten randomisiert entweder 500 mg Tibsovo per os einmal täglich oder ein entsprechendes Placebo bis zum Fortschreiten der Krankheit oder bis zum Auftreten einer inakzeptablen Toxizität. Die Randomisierung erfolgte stratifiziert nach der Anzahl der vorangegangenen Behandlungen (1 oder 2). Geeignete Patienten, die in die Placebogruppe randomisiert worden waren, durften nach radiologisch gesichertem Fortschreiten der Erkrankung durch einen Prüfarzt auf Tibsovo umgestellt werden. Eine Genmutationsanalyse zur zentralen Bestätigung der IDH1-Mutation wurde bei allen Patienten anhand einer Biopsie von Tumorgewebe mit dem OncomineTM Dx-Target-Test durchgeführt.
Das mediane Alter betrug 62 (Spanne: 33 bis 83) Jahre. Die Mehrheit der Patienten waren Frauen (63 %), 57 % waren Weisse und 37 % hatten einen ECOG-Leistungsstatus von 0 (37 %) oder 1 (62 %). Alle Patienten hatten zuvor mindestens eine systemischer Behandlung erhalten und 47 % hatten zuvor zwei Therapien erhalten. Die meisten Patienten (91 %) hatten zum Zeitpunkt der Diagnose ein intrahepatisches Cholangiokarzinom, 8 % eine lokal fortgeschrittene Erkrankung und 92 % eine metastasierte Erkrankung. In beiden Armen hatten 70 % der Patienten eine R132C-Mutation und 15 % eine R132L-Mutation, 12 % hatten eine R132G-Mutation, 1,6 % eine R132S-Mutation und 1,1 % eine R132H-Mutation. Kein Patient mit einer R132H-Mutation von IDH1 wurde randomisiert, um Ivosidenib zu erhalten.
Der primäre Endpunkt bezüglich der Wirksamkeit war das progressionsfreie Überleben (PFS), das von einem unabhängigen Radiologiezentrum (IRC) anhand der Beurteilungskriterien für das Ansprechen bei soliden Tumoren (Response Evaluation Criteria in Solid Tumors, RECIST) v1.1 ermittelt wurde. Das PFS wurde definiert als die Zeit ab der Randomisierung bis zum Fortschreiten der Erkrankung oder bis zum Tod jeglicher Ursache definiert war.
Das Gesamtüberleben (OS) war ein sekundärer Wirksamkeitsendpunkt. Wie gemäss Protokoll erlaubt, wechselte ein grosser Teil (70,5 %) der Patienten im Placebo-Arm- zu Tibsovo, nachdem der Prüfarzt eine radiologische Krankheitsprogression festgestellt hatte. Die Wirksamkeitsergebnisse sind in Tabelle 5 zusammengefasst.
Tabelle 5: Ergebnisse zur Wirksamkeit bei Patienten mit lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem Cholangiokarzinom
Endpunkt
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Ivosidenib (500 mg täglich)
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Placebo
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Progressionsfreies Überleben (PFS) nach IRC-Bewertung
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N=124
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N=61
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Ereignisse, n (%) Fortschreitende Krankheit Tod
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76 (61) 64 (52) 12 (10)
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50 (82) 44 (72) 6 (10)
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Medianes PFS, Monate (95 %-KI)
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2,7 (1,6-4,2)
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1,4 (1,4-1,6)
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Hazard Ratio (95 %-KI)1 p-Wert2
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0,37 (0,25-0,54) < 0,0001
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Ivosidenib (500 mg täglich)
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Placebo
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Gesamtüberleben3,4
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N=126
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N=61
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Todesfälle, n (%)
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100 (79)
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50 (82)
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Medianes OS (Monate, 95 %- KI)
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10,3 (7,8-12,4)
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7,5 (4,8-11,1)
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Hazard Ratio (95 %-KI)1 p-Wert2
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0,79 (0,56-1,12) 0,093
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IRC (Independent Radiology Center): unabhängiges Radiologiezentrum; KI: Konfidenzintervall; 1 Das Risiko-Verhältnis (hazard ratio) wird aus dem stratifizierten Cox-Regressionsmodell berechnet. Der Stratifizierungsfaktor ist die Anzahl der vorherigen Behandlungslinien zum Zeitpunkt der Randomisierung. 2 Der p-Wert wird aus dem einseitigen stratifizierten Log-Rang-Test berechnet. Der Stratifizierungsfaktor ist die Anzahl der vorherigen Behandlungslinien zum Zeitpunkt der Randomisierung. 3 Die Ergebnisse zum Gesamtüberleben beruhen auf der abschliessenden OS-Analyse (basierend auf 150 Todesfällen; Ende der Datenerhebung: 31. Mai 2020), die 16 Monate nach der abschliessenden Analyse des progressionsfreien Überlebens erfolgte (Ende der Datenerhebung:31. Januar 2019) 4 Nach Anpassung der Schätzung des OS in der Placebo-Gruppe für das Crossover (70,5 % der Patienten im Placebo-Arm wurden zum Zeitpunkt der Krankheitsprogression auf Ivosidenib umgestellt) betrug das mediane OS im Placebo-Arm 5,1 Monate (HR = 0,49, p-Wert < 0,0001).
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Eine aktualisierte OS-Analyse zum Ende der Datenerhebung am 21. Juni 2021 an 153 Todesfällen bestätigte einen Nutzen, der mit der endgültigen OS-Analyse (Ende der Datenerhebung 31. Mai 2020) kohärent war und zeigte ein medianes OS von 10,3 Monaten für Tibsovo gegenüber 7,5 Monaten für Placebo (HR = 0,82; 95 %-KI 0,58, 1,14; p-Wert = 0,118).
Kinder und Jugendliche
Die Europäische Arzneimittel-Agentur hat für Tibsovo in der Behandlung aller Erkrankungen, die in die Kategorie der malignen Neoplasien fallen (mit Ausnahme von Tumoren des Zentralnervensystems sowie von Neoplasien des hämatopoetischen und lymphatischen Gewebes) und zur Behandlung von malignen Neoplasien des Zentralnervensystems, eine Freistellung von der Verpflichtung zur Vorlage von Ergebnissen zu Studien in allen pädiatrischen Altersklassen gewährt.
Die Europäische Arzneimittel-Agentur hat für Tibsovo in der Behandlung der akuten myeloischen Leukämie eine Freistellung von der Verpflichtung zur Vorlage von Ergebnissen zu Studien in einer oder mehreren Untergruppen der pädiatrischen Altersklassen gewährt (siehe «Dosierung/Anwendung» für Informationen zur Anwendung in der Pädiatrie).
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