Eigenschaften/WirkungenATC-Code: B01AC17
Thrombozyten-Aktivierung, -Adhäsion und -Aggregation sind entscheidende initiale Schritte bei der Bildung eines arteriellen Thrombus, welcher die rupturierte atherosklerotische Plaque bedeckt. Die Thrombusbildung ist ein zentraler Vorgang in der Pathophysiologie der akuten koronaren Ischämiesyndrome bei instabiler Angina pectoris und beim Myokardinfarkt, ebenso wie bei kardialen ischämischen Komplikationen nach Koronarangioplastie.
Tirofiban ist ein nicht-peptidischer Antagonist des GP IIb/IIIa-Rezeptors, dem wichtigsten Thrombozyten-Oberflächenrezeptor bei der Thrombozyten-Aggregation. Tirofiban verhindert die Bindung von Fibrinogen an GP IIb/IIIa und blockiert auf diese Weise die Thrombozyten-Adhäsion und -Aggregation.
Die gleichzeitige Verabreichung einer Aggrastat Infusion (0,15 Mikrogramm/kg/min über 4 Stunden) und Acetylsalicylsäure hat eine nahezu maximale Thrombozyten-Aggregations-Hemmung und zusätzlich eine leichte Verlängerung der Blutungszeit zur Folge.
Bei Patienten mit instabiler Angina pectoris bewirkt die intravenöse Infusion mit Aggrastat (Aufsättigungsinfusion mit 0,4 Mikrogramm/kg/min über 30 Minuten, gefolgt von 0,1 Mikrogramm/kg/min bis zu 48 Stunden, unter gleichzeitiger Verabreichung von Heparin und Acetylsalicylsäure) eine nahezu 90%ige Hemmung der Thrombozytenaggregation im Median mit einer 2,9-fachen Verlängerung der Blutungszeit während der Infusion. Die Hemmung wurde während der 30-minütigen Aufsättigungsinfusion rasch erreicht und blieb während der gesamten Infusionsdauer erhalten. Nach Absetzen der Aggrastat Infusion kehrt die Thrombozytenfunktion in Kürze wieder zum Ausgangswert zurück.
Das Aggrastat-Bolus-Regime (Initialbolus von 25 Mikrogramm/kg gefolgt von einer Erhaltungsinfusion von 0,15 Mikrogramm/kg/min, in Gegenwart von Heparin und oralen Thrombozytenaggregationshemmern) erzielte 15-60 Minuten nach Behandlungsbeginn eine durchschnittliche Inhibition der ADP-induzierten maximalen Aggregation von 92–95% gemessen mit Licht-Transmissions-Aggregometrie (LTA).
PRISM PLUS-Studie
In der PRISM PLUS Studie (n=1'570) wurden Patienten mit instabiler Angina pectoris oder Non-Q-Wave-Myokardinfarkt randomisiert in eine Gruppe mit Aggrastat und Heparin oder Heparin allein. Alle Patienten erhielten gleichzeitig Acetylsalicylsäure, sofern keine Kontraindikation bestand. Die Behandlung mit Aggrastat setzte innerhalb von 12 Stunden nach der letzten Episode von Thoraxschmerzen ein. Die Patienten wurden zunächst über 48 Stunden behandelt. Anschliessend wurden (sofern indiziert) Angiographie und Angioplastie/Atherektomie durchgeführt und dabei die Behandlung mit Aggrastat fortgeführt. Nach Beendigung der Angioplastie/Atherektomie wurde die Behandlung mit Aggrastat noch 12-24 Stunden fortgeführt. Insgesamt wurde Aggrastat in der Studie über 48-108 Stunden infundiert (Durchschnitt 71.3 Stunden).
Daher kann Aggrastat während einer Koronarangiographie, Koronarangioplastie oder Atherektomie weiter verabreicht werden, sollten diese Eingriffe erforderlich sein.
Am primären Endpunkt (refraktäre Ischämie, erneuter Myokardinfarkt und Tod 7 Tage nach Beginn der Gabe von Aggrastat) war das Risiko insgesamt um 32% reduziert, das Risiko eines Myokardinfarkts um 47% reduziert und das Risiko von Myokardinfarkt oder Tod um 43% reduziert. In dieser Studie war der Nutzen unabhängig von Alter oder Geschlecht nachweisbar. Der frühe klinische Nutzen blieb im Allgemeinen nach 30 Tagen und nach 6 Monaten erhalten.
In einer Substudie ergab sich eine signifikante Abnahme in der Ausdehnung des angiographisch nachweisbaren Thrombus bei Patienten, welche mit Aggrastat in Kombination mit Heparin behandelt wurden, gegenüber denjenigen, welche nur Heparin erhielten. Zudem war der Fluss in der betroffenen Koronararterie signifikant verbessert.
ADVANCE-Studie
Die ADVANCE-Studie untersuchte die Sicherheit und Wirksamkeit des Bolus-Regimes mit 25 Mikrogramm/kg Aggrastat im Vergleich zu Placebo bei Patienten, die eine elektive oder akute PCI erhielten und die Hochrisikofaktoren aufwiesen, einschliesslich einer Verengung mindestens eines Koronargefässes von ≥70% und Diabetes, der Notwendigkeit einer Mehrgefäss-Intervention oder NSTE-ACS. Alle Patienten erhielten unfraktioniertes Heparin, Acetylsalicylsäure sowie eine Aufsättigungsdosis und die anschliessende Erhaltungstherapie eines Thienopyridins. Insgesamt wurden 202 Patienten randomisiert entweder zu Aggrastat (25 Mikrogramm/kg Bolus intravenös über 3 Minuten gefolgt von einer kontinuierlichen intravenösen Infusion von 0,15 Mikrogramm/kg/Minute für 24-48 Stunden) oder zu Placebo. Beides wurde unmittelbar vor der PCI appliziert.
Der primäre Endpunkt war ein kombinierter Endpunkt aus Tod, nicht tödlich verlaufendem Myokardinfarkt, akuter Revaskularisierung des Zielgefässes (uTVR) oder einer thrombotischen Notfallbehandlung mit GP IIb/IIIa-Blockern innerhalb eines medianen Nachverfolgungszeitraums von 180 Tagen nach dem initialen Eingriff. Die Sicherheitsendpunkte hinsichtlich starker und leichter Blutungen wurden entsprechend der TIMI-Kriterien definiert.
In der Intent-to-treat-Population war die kumulative Inzidenz des primären Endpunkts 35% in der Placebo-Gruppe und 20% in der Aggrastat-Gruppe (Hazard Ratio [HR] 0,51 [95% Konfidenzintervall (CI), 0,29 bis 0,88]; p=0,01). Verglichen mit der Placebo-Gruppe gab es eine signifikante Verringerung des kombinierten Endpunktes aus Tod, Myokardinfarkt oder uTVR in der Aggrastat-Gruppe (31% vs. 20%, HR, 0,57 95% CI, 0,99–0,33]; p=0,048).
EVEREST-Studie
Die randomisierte, open-label EVEREST-Studie verglich das Upstream-Initialdosis-Regime von 0,4 Mikrogramm/kg/min, das in der kardiologischen Intensivstation begonnen wurde, mit dem Bolus-Regime von 25 Mikrogramm/kg Aggrastat oder 0,25 Milligramm/kg Abciximab, das 10 Minuten vor der PCI eingeleitet wurde. Alle Patienten erhielten ausserdem Acetylsalicylsäure und ein Thienopyridin. Die 93 eingeschlossenen NSTE-ACS-Patienten erhielten eine Angiographie und falls angezeigt eine PCI innerhalb von 24-48 Stunden nach der Aufnahme ins Krankenhaus.
Hinsichtlich der primären Endpunkte für Gewebeperfusion und Troponin I-Freisetzung zeigten die Ergebnisse der EVEREST-Studie signifikant niedrigere Raten für das Upstream-Regime für post-PCI-TMPG 0/1 verglichen mit der PCI-Bolus-Behandlung von 25 Mikrogramm/kg Aggrastat oder Abciximab (6,2% vs. 20% vs. 35,5%; p=0,015) sowie verbesserte MCE-Werte nach PCI (0,88 ± 0,18 vs. 0,77 ± 0,32 vs. 0,71 ± 0,30; p<0,05).
Die Inzidenz von erhöhtem kardialem Troponin I (cTnI) nach Intervention war bei Patienten mit der Upstream-Aggrastat-Behandlung signifikant reduziert verglichen mit der PCI-Bolus-Behandlung von 25 Mikrogramm/kg Aggrastat oder Abciximab (9,4% vs. 30% vs. 38,7%; p=0,018). Die cTnI-Werte nach PCI waren ebenfalls signifikant niedriger mit der Upstream-Aggrastat-Behandlung verglichen mit Aggrastat bei PCI (3,8 ± 4,1 vs. 7,2 ± 12; p=0,015) und Abciximab bei PCI (3,8 ± 4,1 vs. 9 ± 13,8; p=0,0002). Der Vergleich zwischen der Bolus-Behandlung mit 25 Mikrogramm/kg Aggrastat und Abciximab bei PCI zeigte keine signifikanten Unterschiede hinsichtlich der post-PCI-TMPG 0/1-Rate (20% vs. 35%; p=NS).
On-TIME 2-Studie
Die multizentrische, prospektive, randomisierte und kontrollierte On-TIME 2 Studie untersuchte die Wirkung einer frühen Aggrastat Vorbehandlung mit dem 25 Mikrogramm/kg Bolus-Regime bei STEMI Patienten mit geplanter primärer PCI. Alle Patienten erhielten Acetylsalicylsäure, eine 600 mg Clopidogrel Aufsättigungsdosis und unfraktioniertes Heparin. Eine Notfallbehandlung mit Aggrastat war entsprechend vorbestimmter Kriterien möglich. Die Studie wurde in zwei Phasen durchgeführt: eine Pilot, open-label Phase (n=414) gefolgt von einer grösseren, doppelblinden Phase (n=984).
Eine Gesamtanalyse der Daten aus beiden Studienphasen war prospektiv festgelegt worden, um die Wirkung des frühen 25 Mikrogramm/kg Aggrastat Bolus-Regimes im Vergleich zur Kontrollgruppe auf den primären Endpunkt, MACE (schwere unerwünschte kardiale Ereignisse: Tod, erneuter Myokardinfarkt oder notwendige Gefäss-Revaskularisation [uTVR]) nach 30 Tagen zu untersuchen.
In dieser Gesamtanalyse reduzierte die Aggrastat Vorbehandlung signifikant die MACE Inzidenz nach 30 Tagen im Vergleich zur Kontrollgruppe (5,8% vs 8,6%; p=0,043). Zusätzlich war ein starker Trend zu geringerer Mortalität jeglicher Ursache mit Aggrastat (2,2% mit Aggrastat vs 4.1% in der Kontrollgruppe; p=0,051) zu verzeichnen. Dieser Mortalitätsbenefit war hauptsächlich auf eine Reduktion kardialer Mortalität zurückzuführen (2,1% vs 3,6%; p=0,086). Die Mortalitätsdifferenz wurde bis zu einem Jahr, dem sekundären Wirksamkeitsendpunkt, aufrechterhalten (Tod jeglicher Ursache: 3,7% vs 5,8%; p=0,078 und kardiale Mortaliät: 2,5% vs 4,4%; p=0,061).
Patienten, die eine primäre PCI erhielten (86% der Studienpopulation der Gesamtanalyse), hatten mit Aggrastat im Vergleich zur Kontrollgruppe eine signifikante Mortalitätsreduktion sowohl nach 30 Tagen (1,0% vs 3,9%, p=0,001) als auch nach einem Jahr (2,4% vs 5,5%; p=0,007).
MULTISTRATEGY-Studie
Die open-label, multinationale MULTISTRATEGY Studie verglich bei STEMI Patienten mittels eines 2×2 faktoriellen Studiendesigns Aggrastat (n=372) mit Abciximab (n=372) in Verbindung mit entweder einem Sirolimus-freisetzenden (SES) oder Bare-Metal Stent (BMS). Die Therapie mit Aggrastat (25 Mikrogramm/kg Bolus gefolgt von einer Infusion von 0,15 Mikrogramm/kg/min für 18-48 Stunden) oder Abciximab (0,25 Milligramm/kg Bolus gefolgt von einer Infusion von 0,125 Mikrogramm/kg/min für 12 Stunden) wurde vor der Einführung der arteriellen Einführschleuse während der Angiographie begonnen. Alle Patienten erhielten unfraktioniertes Heparin, Acetylsalicylsäure und Clopidogrel.
Der primäre Wirksamkeitsendpunkt des Arzneimittelvergleiches war die kumulative Auflösung der ST-Strecken-Hebung, ausgedrückt als der Anteil der Patienten, der innerhalb von 90 Minuten nach dem letzten Aufblasen des Ballons eine mindestens 50%ige Auflösung erreichte. Dieser Endpunkt wurde entsprechend der Nicht-Unterlegenheits-Hypothese von Aggrastat gegenüber Abciximab untersucht.
In der Intent-to-treat-Population war der Anteil der Patienten mit mindestens 50%iger Auflösung der ST-Strecken-Hebung nicht signifikant unterschiedlich zwischen der Aggrastat-Gruppe (85,3%) und der Abciximab-Gruppe (83,6%), was die Nicht-Unterlegenheit von Aggrastat gegenüber Abciximab zeigte (RR für Aggrastat vs Abciximab, 1,020; 97,5% CI, 0,958-1,086; p<0,001 für Nicht-Unterlegenheit).
Nach 30 Tagen waren die Inzidenzraten schwerer unerwünschter kardialer Ereignisse (MACE) von Abciximab und Aggrastat ähnlich (4,3% vs 4,0%, p=0,85); dieses Ergebnis wurde auch nach 8 Monaten aufrechterhalten (12,4% vs 9,9%, p=0,30).
Meta-Analyse randomisierter Studien mit dem Aggrastat 25 Mikrogramm/kg Bolus-Regime
Die Ergebnisse einer Meta-Analyse, die die Wirksamkeit des Aggrastat 25 Mikrogramm/kg Bolus Regimes im Vergleich zu Abciximab bei 2213 ACS-Patienten über das ACS-Spektrum (sowohl NSTE-ACS als auch STEMI-Patienten) untersuchte, ergaben keinen signifikanten Unterschied in der OR für Tod oder Myokardinfarkt nach 30 Tagen zwischen den beiden Arzneimitteln (OR 0,87 [0,56-1,35], p=0,54). Ebenso gab es keinen signifikanten Unterschied in der 30-Tages-Mortalität zwischen Aggrastat und Abciximab (OR 0,73 [0,36-1,47], p=0,38). Darüber hinaus war die Inzidenz des Endpunktes Tod oder Myokardinfarkt bei dem längsten Follow-up nicht signifikant unterschiedlich zwischen Aggrastat und Abciximab (OR 0,84 [0,59-1,21], p=0,35).
TARGET Studie
In einer Studie mit einem Aggrastat-Bolus von 10 Mikrogramm/kg gefolgt von einer Infusion mit 0,15 Mikrogramm/kg/min Aggrastat, konnte Aggrastat keine Non-Inferiority verglichen mit Abciximab zeigen: Die Inzidenz des kombinierten primären Endpunkts (Tod, Myokardinfarkt oder akute uTVR des Zielgefässes nach 30 Tagen) zeigte mit 7,6% in der Aggrastat-Gruppe und 6,0% in der Abciximab-Gruppe (p=0,038), dass Abciximab hinsichtlich klinisch relevanter Endpunkte signifikant wirksamer war, was hauptsächlich auf einem signifikanten Anstieg der Inzidenz von Myokardinfarkten innerhalb von 30 Tagen beruhte (6,9% vs. 5,4%; p=0,04).
|