Eigenschaften/WirkungenATC-Code
L01FX02
Wirkungsmechanismus
Gemtuzumab Ozogamicin ist ein gegen CD33 gerichtetes Antikörper-Wirkstoff-Konjugat (ADC). Gemtuzumab ist ein humanisierter Immunglobulin-Antikörper der Klasse G, Subtyp 4 (IgG4), der spezifisch humanes CD33 erkennt. Der Antikörperteil bindet spezifisch an das Antigen CD33, ein Sialinsäure-abhängiges Adhäsionsprotein, das auf der Oberfläche myeloischer leukämischer Blasten und unreifer normaler Zellen mit myelomonozytärer Differenzierung, nicht aber auf normalen hämatopoetischen Stammzellen zu finden ist. Das niedermolekulare N-Acetyl-Gamma-Calicheamicin ist ein zytotoxisches, halbsynthetisches, natürliches Produkt. N-Acetyl-Gamma-Calicheamicin ist kovalent über einen AcBut (4-(4-Acetylphenoxy)buttersäure)-Linker mit dem Antikörper verbunden. Aus präklinischen Daten geht hervor, dass die Antitumor Aktivität von Gemtuzumab Ozogamicin auf die Bindung des ADC an CD33exprimierende Krebszellen, gefolgt von einer Internalisation des ADC-CD33 Komplexes und der intrazellulären Freisetzung von N-Acetyl-Gamma-Calicheamicin-Dimethylhydrazid über die hydrolytische Spaltung des Linkers zurückzuführen ist. Die Aktivierung von N-Acetyl-Gamma-Calicheamicin-Dimethylhydrazid induziert DNA-Doppelstrangbrüche, gefolgt von einer Induktion von Zellzyklus-Arrest und apoptotischem Zelltod.
Vermutlich muss ein hoher prozentualer Anteil der CD33-Antigenstellen gesättigt sein, um eine maximale Abgabe von Calicheamicin an die leukämischen Blastenzellen zu erreichen. Die Sättigung am Target (CD33) nach einer Mylotarg-Dosisgabe bei Patienten mit rezidivierter und refraktärer AML wurde in mehreren Monotherapie-Studien gemessen. In allen Studien wurde bei allen Dosisstufen ab 2 mg/m² nach der Mylotarg-Dosisgabe eine nahezu maximale CD33-Sättigung im peripheren Blut beobachtet; dies legt nahe, dass eine geringe Dosis Gemtuzumab Ozogamicin ausreichend ist, um eine Bindung aller verfügbaren CD33-Stellen zu erzielen.
Elektrokardiographie
In einer weiteren klinischen Studie wurde die Wirkung von Mylotarg auf das korrigierte QT-Intervall bei 50 erwachsenen Patienten mit rezidivierter oder refraktärer CD33-positiver AML, die mit 3 mg/m2 Mylotarg an den Tagen 1, 4 und 7 behandelt wurden, bewertet. Die grösste mittlere Veränderung des QTcF-Intervalls im Vergleich zum Ausgangswert betrug 5.10 msec (90% KI: 2.15, 8.06 msec). Bei keinem Patienten kam es zu einem maximalen QTcF-Anstieg von >60 msec im Vergleich zum Ausgangswert, und kein Patient hatte eine QTcF >480 msec. Je ein (1) Ereignis von Vorhofflimmern (Grad 3) und supraventrikulärer Tachykardie (Grad 3) traten bei demselben Patienten auf. Es wurden keine unerwünschten Ereignisse des kardialen Reizleitungssystems von Grad 4 oder 5 berichtet.
Es wurden keine speziellen («thorough») Placebo- und Moxifloxacin-kontrollierten QT-Studien mit Mylotarg bei supratherapeutischen Dosen durchgeführt.
Klinische Wirksamkeit
Studie ALFA-0701 bei nicht vorbehandelten Patienten mit neu diagnostizierter AML
Die Wirksamkeit und Sicherheit von Mylotarg wurden in einer multizentrischen, randomisierten, offenen Phase 3 Studie zum Vergleich der Gabe von Mylotarg zusätzlich zu einem Standard Induktionschemotherapieschema bestehend aus DNR und AraC (DA) mit der alleinigen Gabe von DA untersucht. Geeignete Patienten waren zwischen 50 und 70 Jahre alt und litten an nicht vorbehandelter, neu diagnostizierter AML (Studie ALFA-0701). Patienten mit akuter Promyelozytenleukämie (APL, AML M3) und Patienten mit AML aufgrund vom myelodysplastischen Syndrom oder mit vorbehandelter AML waren von der Studie ausgeschlossen.
Der primäre Endpunkt war das ereignisfreie Überleben (event-free survival, EFS). Sekundäre Endpunkte waren die CR- und CRp Raten (complete remission with incomplete platelet recovery, CRp), das rezidivfreie Überleben (relapse-free survival, RFS), das Gesamtüberleben (overall survival, OS) und die Sicherheit der Kombination DA mit oder ohne Mylotarg.
Insgesamt wurden in dieser Studie 271 Patienten randomisiert, davon 135 Patienten zur Induktionstherapie mit DNR 60 mg/m2/Tag, infundiert über 30 min an Tag 1 bis Tag 3, sowie AraC 200 mg/m2/Tag mittels kontinuierlicher Infusion an Tag 1 bis Tag 7 (3+7 DA) plus 3 mg/m2/Dosierung Mylotarg (bis zu einem Maximum von einer 5 mg Durchstechflasche) infundiert über eine Periode von 2 h an den Tagen 1, 4 und 7 und 136 Patienten zur alleinigen Therapie mit 3+7 DA. Ein zweiter Induktionstherapiezyklus mit DA aber ohne Mylotarg war, unabhängig vom Randomisierungs-Arm, zulässig. Patienten in jedem der beiden Arme, die den zweiten Zyklus der Induktionstherapie nicht erhielten und nach der Induktion keine CR erreichten, konnten einen Salvage Therapiezyklus erhalten, der aus Idarubicin, AraC und Granulozyten-Kolonie-stimulierendem Faktor (G-CSF) bestand.
Patienten mit CR oder CRp erhielten nach der Induktion eine Konsolidierungstherapie mit bis zu 2 Behandlungszyklen mit intravenösem DNR (60 mg/m2 an Tag 1 [erster Zyklus] oder an 2 Tagen [zweiter Zyklus]), kombiniert mit intravenösem AraC (1 g/m2 pro 12 h, infundiert über 2 h an den Tagen 1 bis 4), mit oder ohne Mylotarg, gemäss ihrer ursprünglichen Randomisierung. In jedem Konsolidierungszyklus wurde Mylotarg in der 3 mg/m2 Dosierung über 2 h bis zu einer maximalen Dosierung von einer 5 mg Durchstechflasche an Tag 1 infundiert. Patienten, die eine Remission erreichten, waren ausserdem einer allogenen HSCT zuführbar. Es wurde ein zeitlicher Abstand von mindestens 2 Monaten zwischen der letzten Dosis Mylotarg und der Transplantation empfohlen.
Insgesamt betrug das mediane Patientenalter 62 Jahre (Spanne von 50 bis 70 Jahren), und die meisten Patienten (87.8%) wiesen einen Eastern Cooperative Oncology Group (ECOG) Leistungsstatus von 0 bis 1 zu Studienbeginn auf. Die Merkmale zu Studienbeginn waren zwischen den Behandlungsarmen ausgeglichen, mit Ausnahme des Geschlechts, da im Mylotarg-Arm prozentual mehr Männer aufgenommen waren (54.8%) als in dem Arm, in dem nur DA gegeben wurde (44.1%). Insgesamt wiesen nach den Risikostratifizierung des National Comprehensive Cancer Network (NCCN) und des European LeukaemiaNet (ELN) aus dem Jahr 2010 59.0% bzw. 65.3% der Patienten eine dokumentierte AML Erkrankung mit günstigem/ mittlerem Risiko auf. Insgesamt wurde bei 194 von 271 (71.6%) Patienten die CD33 Expression auf AML-Blasten in lokalen Laboren mittels Durchflusszytometrie bestimmt. Nur wenige Patienten (13.7%) wiesen eine geringe CD33 Expression (weniger als 30% der Blasten) auf.
Die Studie erreichte ihr primäres Ziel, nämlich den Nachweis, dass in fraktionierten Dosen (3 mg/m2 x3) zusätzlich zur Standard-Induktionschemotherapie gegebenes Mylotarg bei Patienten mit nicht vorbehandelter, neu diagnostizierter AML zu einer statistisch signifikanten und klinisch bedeutsamen Verbesserung des EFS führte. Das mediane EFS betrug 17.3 Monate (95% KI: 13.4–30.0) im Mylotarg-Arm vs. 9.5 Monate (95% KI: 8.1–12.0) im Arm mit alleiniger Gabe von DA; Hazard Ratio (HR) 0.562 (95% KI: 0.415–0.762); 2-seitiger p-Wert=0.0002 mittels Log-Rank-Test. Die Wirksamkeitsdaten aus der Studie ALFA-0701 sind in Tabelle 6 zusammengefasst, und der Kaplan Meier Plot für das EFS ist in Abbildung 1 dargestellt.
Tabelle 6: Wirksamkeitsergebnisse aus der Studie ALFA 0701 (mITT-Population)
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Mylotarg + Daunorubicin + Cytarabin
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Daunorubicin + Cytarabin
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Ereignisfreies Überleben (gemäss Beurteilung durch den Prüfarzt)
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n=135
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n=136
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Anzahl der Ereignisse, n (%)
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73 (54.1)
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102 (75.0)
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Medianes EFS in Monaten [95% KI]a
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17.3 [13.4–30.0]
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9.5 [8.1–12.0]
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Wahrscheinlichkeit für 2-jähriges EFS [95% KI]b
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42.1 [32.9–51.0]
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18.2 [11.1–26.7]
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Wahrscheinlichkeit für 3-jähriges EFS [95% KI]b
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39.8 [30.2–49.3]
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13.6 [5.8–24.8]
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Hazard Ratio [95% KI]c
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0.562 [0.415–0.762]
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p-Wertd
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0.0002
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Ereignisfreies Überleben (gemäss unabhängigem Review)
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n=135
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n=136
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Anzahl der Ereignisse, n (%)
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78 (57.8)
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100 (73.5)
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Medianes EFS in Monaten [95% KI]a
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13.6 [9.0,19.2]
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8.5 [7.5,12.0]
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Wahrscheinlichkeit für 2-jähriges EFS [95% KI]b
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38.5 [29.6, 47.3]
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18.1 [11.1, 26.5]
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Wahrscheinlichkeit für 3-jähriges EFS [95% KI]b
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36.5 [27.3, 45.7]
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13.6 [5.8, 24.7]
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Hazard Ratio [95% KI]c
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0.661 [0.491, 0.891]
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p-Wertd
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0.0059
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Rezidivfreies Überleben (gemäss Beurteilung durch den Prüfarzt)
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n=110
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n=100
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Anzahl der Ereignisse, n (%)
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49 (44.5)
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66 (66.0)
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Medianes RFS in Monaten [95% KI]a
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28.0 [16.3–nicht bestimmbar]
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11.4 [10.0–14.4]
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Hazard Ratio [95% KI]c
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0.526 [0.362–0.764]
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p-Wertd
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0.0006
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Gesamtüberleben
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n=135
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n=136
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Anzahl der Todesfälle, n (%)
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80 (59.3)
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88 (64.7)
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Medianes OS in Monaten [95% KI]a
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27.5 [21.4–45.6]
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21.8 [15.5–27.4]
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Hazard Ratio [95% KI]c
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0.807 [0.596–1.093]
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p-Wertd
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0.1646
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Ansprechrate (gemäss Beurteilung durch den Prüfarzt)
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n=135
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n=136
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Gesamtansprechen in % [95% KI]e
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81.5 [73.89–87.64]
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73.5 [65.28–80.72]
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CR
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70.4
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69.9
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CRp
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11.1
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3.7
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Risikodifferenz [95% KI]f
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7.95 [-3.79–19.85]
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p-Wertg
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0.1457
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Basierend auf der primären Definition von EFS: Ereigniszeitpunkte (Datum) (Refraktärität auf Induktionstherapie, Rezidiv oder Tod). Bei einer Beurteilung durch den Prüfarzt wurden Refraktärität auf Induktionstherapie, Rezidiv oder Tod ermittelt, beim unabhängigen Review war das Datum der Refraktärität auf Induktionstherapie das Datum der Randomisierung. Die mITT-Population umfasste alle randomisierten Patienten, es sei denn, die Einwilligung wurde vor Behandlungsbeginn widerrufen; die Analyse erfolgte gemäss dem ursprünglichen Randomisierungsarm. Abkürzungen: CR = komplette Remission; CRp = komplette Remission mit unvollständiger Regeneration der Thrombozytenzahl; KI = Konfidenzintervall; EFS = ereignisfreies Überleben; mITT = modifizierte intenttotreat-Population; n = Anzahl; OS = Gesamtüberleben; RFS = rezidivfreies Überleben. a. Median geschätzt nach der Kaplan-Meier-Methode; CI basierend auf der Brookmeyer-Crowley-Methode mit loglog-Transformation. b. Geschätzt auf Grundlage der Kaplan-Meier-Kurve. Wahrscheinlichkeit (%) berechnet mithilfe der Produkt-Limit-Methode; KI berechnet basierend auf der loglog-Transformation der Überlebenswahrscheinlichkeit mithilfe einer Normalapproximation und der Greenwood-Formel. c. Basierend auf dem Proportional-Hazards-Modell nach Cox vs. Daunorubicin + Cytarabin. d. 2-seitiger p-Wert aus dem Log-Rank-Test. e. Ansprechen definiert als CR + CRp. f. Unterschied beim Gesamtansprechen; KI basierend auf der Methode nach Santner und Snell. g. Basierend auf dem exakten Fisher-Test.
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Abbildung 1. Kaplan-Meier-Plot des ereignisfreien Überlebens gemäss Beurteilung durch den Prüfarzt aus der Studie ALFA 0701 (mITT-Population)
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Anwendung bei AML mit Hochrisiko-Zytogenetik
In Analysen von Untergruppen in der Studie ALFA-0701 verbesserte die Gabe von Mylotarg in Kombination mit DNR und AraC das EFS in der Untergruppe von Patienten mit günstigem oder intermediärem zytogenetischem Risikoprofil (HR 0.46; 95% KI: 0.31, 0.68), jedoch nicht in der Untergruppe von Patienten mit Hochrisiko-Zytogenetik (HR 1.11; 95% KI: 0.63, 1.95).
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